Mindfuck-Level: Fortgeschrittener
Werbung ist überall. Im Fernsehen, in der Zeitung, im Internet, auf Bussen und auf Plakatwänden verkaufen uns lächelnde, scheinbar perfekte Menschen unsere Träume. Kein Wunder also, dass die Werbeindustrie milliardenschwer ist und ihre kreativen Köpfe den Bezug zur Realität längst verloren haben. So suggeriert es uns zumindest 39,90 von Jan Kounen, ein Film, der auf dem gleichnamigen Aufklärungsbuch des Insiders Frédéric Beigbeder basiert. 39,90 steht ebenso wie der Originaltitel 99 francs für den Preis der ersten Ausgabe des Buches. Da die Taschenbuchausgabe inzwischen für 9,90 Euro zu haben ist, wird die Drei im Titel oft blasser dargestellt.
Die heile Welt der Werbung
Der Werbetexter Octave (Jean Dujardin) stürzt sich von einem Hochhaus. In einer langen Rückblende versucht er, dem Zuschauer zu erklären, warum er das tut.
Octave arbeitet für die weltweit bekannte Agentur Ross & Witchcraft. Wie die meisten seiner Kollegen liebt er Drogen- und Alkoholexzesse und ist durch seine Arbeit zum Zyniker geworden. Sein aktueller Auftrag für den Joghurt-Hersteller Madone läuft nicht gut, aber viel mehr als die Arbeit setzt ihm die Trennung von Sophie (Vahina Giocante) zu. Octave konnte nicht damit umgehen, dass Sophie ein Kind von ihm erwartet und nun ist Sophie mit Octaves Vorgesetztem Marc (Antoine Basler) zusammen. Als Octave den Kokainkonsum übertreibt, bricht er zusammen und wird in eine Entzugsklinik eingeliefert. Nach seiner Rückkehr in die Firma erfährt er, dass Marc sich das Leben genommen hat, weil er entlassen worden ist.
Ende(n) mit Schrecken – Das Ende von 39,90
Octave fährt mit einigen Arbeitskollegen nach Miami, um dort den Dreh des neuen Madone-Werbespots zu begleiten. In seiner Verachtung für die Branche und seinen Auftraggeber lässt er noch eine andere, subversive Version des Spots drehen. Seine Rebellion feiert er mit einem erneuten Drogenexzess. Völlig zugedröhnt rast er durch Miami und überfährt dabei mehrere Passanten. Nach einer wilden Verfolgungsjagd kann er der Polizei entkommen und fliegt zurück nach Paris. Gerade als er und sein Kollege Charlie (Jocelyn Quivrin) befördert worden sind, um Marcs Position zu übernehmen, erfährt Octave von Sophies Eltern, dass sie zusammen mit Marc Selbstmord begangen hat. Gleichzeitig steht die Polizei vor der Tür und möchte Octave vernehmen. Er flieht auf das Dach der Firmenhochhauses und springt in den Tod.
Der Abspann des Films setzt ein, doch dem Zuschauer wird – angeblich im Rahmen einer Testvorführung – ein alternatives Ende angeboten. Hier hat Octave sich im Drogenrausch nur eingebildet, in Miami Menschen überfahren zu haben. Er sorgt dafür, dass sein alternativer Werbespot ausgestrahlt wird, in dem er schonungslos mit der Werbebranche abrechnet. Dann täuscht er seinen Tod vor und setzt sich in den Dschungel ab. Dort steht plötzlich Sophie mit ihrer gemeinsamen Tochter vor ihm und umarmt ihn. Doch ein Zoom-Out entlarvt diese Idylle als Werbeplakat, das Octave sieht, während er vom Hochhaus in den Tod stürzt.
Zu schön, um wahr zu sein? – Der Mindfuck von 39,90
Der Mindfuck von 39,90 äußert sich vor allem auf zwei Ebenen. Einerseits werden Octaves Drogeneskapaden auf eine Weise dargestellt, dass man nicht immer sofort sicher sein kann, was Realität ist und was nicht. Die schnellen Schnitte, die unklaren Übergänge und der extravagante Stil von 39,90 tragen einen großen Teil dazu bei.
Wesentlich komplexer ist der Umgang mit den (scheinbar) alternativen Enden. Nachdem Octaves Selbstmord eigentlich schon den Abspann eingeleitet hat, bietet der Film ein wesentlich glücklicheres Ende an: Octaves Amokfahrt in Miami war nur eine Halluzination, also letztlich ein Mindfuck. Stattdessen zeigt er es seinen Auftraggebern und verabschiedet sich aus der Werbewelt. Sophie ist nicht tot, sondern anscheinend bereit, zu ihm zurückzukehren.
Dieses Ende würde dem Zuschauer einen einfachen Ausweg erlauben: Die Werbebranche ist nicht durch und durch schlecht, Octave ist nicht vollkommen gewissenlos und narzisstisch und wird mit der Aussicht auf Liebesglück belohnt. Aber man sollte es eigentlich besser wissen, denn in der Werbebranche sind Glück und Perfektion nur Illusionen. Das Happy End stellt sich als Werbeplakat heraus und Octave ist tatsächlich der egozentrische Selbstmörder, der sein Leben verpfuscht hat, während die Werbebranche ihn einfach durch den nächsten Egozentriker ersetzt.
Fazit
Zu Beginn funktioniert 39,90 als bitterböse Satire sehr gut. Die Allüren und die absolute Selbstbezogenheit der Werbebranche werden effektiv herausgestellt und erschrecken und faszinieren zugleich. Leider schafft es 39,90 lange Zeit nicht, eine ansprechende Handlung um seine Figuren zu stricken. So fehlt ein wenig der rote Faden, der die einzelnen Szenen zusammenhält und man beginnt sich zu langweilen. Das Mindfuck-Ende ist wieder gut und effektiv, doch die Minuten kurz davor wirken zusammenhangslos und ziehen sich zu lang hin. So bleibt 39,90 ein relativ netter Film, der jedoch sein Potential zumindest teilweise verschenkt.
Weiterführende Links
39,90 bei www.imdb.com
39,90 bei www.rottentomatoes.com
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Bildnachweis: Bilder mit freundlicher Genehmigung der EuroVideo Medien GmbH
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