Mindfuck-Level: Fortgeschittener
Psychiater sind gängige Heldenfiguren des Kinos. Kein Wunder, denn ihr Job besteht daraus, Menschen zu helfen. Natürlich haben sie es im Film oft mit wesentlich schwereren Fällen zu tun, als im richtigen Leben und oft müssen sie auch feststellen, dass mehr hinter dem Trauma ihres Patienten steckt, als es zunächst scheint. Manchmal führt dies sogar zu Mindfuck – immerhin geht es ja in solchen Konstellationen ohnehin um die Weltwahrnehmung und die Probleme eines Patienten. Genau dies geschieht auch in Stay von Marc Forster. Das Ergebnis ist für den Zuschauer jedoch vergleichsweise unbefriedigend.
Ein angekündigter Selbstmord
Der Psychiater Sam Foster (Ewan McGregor) übernimmt vertretungsweise die Behandlung des Kunststudenten Henry Letham (Ryan Gosling). Henry gibt an, Stimmen zu hören, und kündigt an, dass er sich in drei Tagen um Mitternacht umbringen werde. Sam versucht, ihn von diesem Vorhaben abzubringen, muss aber gleichzeitig feststellen, dass sich die mysteriösen Begebenheiten rund um Henry häufen. Der Student macht mehrere korrekte Voraussagen über die Zukunft und glaubt, in Sams Kollegen Leon (Bob Hoskins) seinen toten Vater zu erkennen. Obwohl Henry sagt, dass auch seine Mutter tot ist, trifft Sam in Henrys Elternhaus auf eine Frau mit einer schweren Kopfverletzung, die Henrys Mutter zu sein scheint und Sam für Henry hält. Der Sheriff der Stadt bestätigt Sam jedoch, dass Henrys Mutter tot ist.
Zusammenbruch der Realität – Das Ende von Stay
Sam beginnt, merkwürdige Déjà Vus zu haben und erlebt manche Ereignisse direkt hintereinander mehrmals. Henry gibt sich die Schuld am Tod seiner Eltern, doch als Sam ihn einweisen lassen möchte, zieht Henry eine Waffe und läuft davon. Sam macht sich auf die Suche nach Henry und findet schließlich heraus, dass dieser seinen Selbstmord auf der Brooklyn Bridge durchführen möchte. Henry sucht unterdessen noch seinen vermeintlichen Vater Leon auf und heilt dessen Blindheit. Sams Freundin Lila (Naomi Watts), eine Künstlerin, muss feststellen, dass alle ihre Bilder mit Henrys Namen signiert sind.
Als Sam und Henry schließlich auf der Brooklyn Bridge aufeinander treffen, weiß Sam selbst nicht mehr, was real ist und was nicht. Doch das stellt sich bald heraus: Henry hatte einen Autounfall, bei dem seine Freundin und seine Eltern ums Leben gekommen sind. Er selbst liegt auf der Brücke im Sterben, während der Arzt Sam und die Krankenschwester Lila um sein Leben kämpfen. Die anderen Ereignisse des Films haben nur in Henrys Phantasie stattgefunden. Am Ende stirbt Henry. Sam und Lila, die einander nicht kennen, beschließen, noch gemeinsam einen Kaffee trinken zu gehen.
Raum und Zeit – Der Mindfuck von Stay
Grundsätzlich variiert Stay das gängige Mindfuck-Erzählmuster des unbewussten Todes. Henry liegt den ganzen Film über im Sterben und der Großteil der Ereignisse spielt sich in seiner Phantasie ab. Die Innovation von Stay ist, dass der Film in erster Linie Sam folgt, nicht Henry. Die Hauptfigur ist also in dieser Form selbst nicht real und ihre reale Version bekommt von Henrys Phantasie nichts mit.
Innerhalb der Phantasie arbeitet Regisseur Forster mit zahlreichen Irritationsmomenten. Die räumliche Geschlossenheit der Schauplätze ist nicht immer gegeben und spätestens bei Sams Déjà Vus sind auch die zeitlichen Zusammenhänge nicht mehr so, wie sie sein sollten. Darüber hinaus arbeitet Stay häufig mit fließenden Übergängen und innovativen Anschlüssen zwischen den einzelnen Szenen. Durch all diese Techniken entwirft Stay eine surreale Mindfuck-Welt, in der sich auch die Protagonisten nicht mehr problemlos zurechtfinden können.
Fazit
Eigentlich sind die Voraussetzungen von Stay gut. Mit Ewan McGregor, Naomi Watts und Ryan Gosling verfügt der Film über beträchtliche Star-Power und Marc Forster zieht alle Register, um den Film visuell ansprechend und einfallsreich in Szene zu setzen. Dazu liefert Ryan Gosling eine gute Leistung als geheimnisvoller und latent bedrohlicher Patient.
Allerdings weist Stay mehrere grundlegende Schwachstellen auf. Naomi Watts ist in ihrer Rolle als Lila völlig verschenkt, da sie kaum zur Handlungsentwicklung beiträgt und die Liebesgeschichte zwischen ihr und Sam irgendwann auf der Strecke bleibt. Der sehr stilvolle Look von Stay macht den Film leider auch kalt und erschwert dadurch die Identifikation mit den Figuren. Und dann ist da natürlich noch der Plot Twist, der filmgeschichtlich einfach ein paar Jahre zu spät kommt.
Die Tatsache, dass eine wichtige Figur schon tot ist, reißt sechs Jahre nach The Sixth Sense niemanden mehr vom Hocker. Zu viele Horrorfilme haben seitdem vergleichbare Erzählmuster genutzt, darunter Soul Survivors, The Art of Dying, Hellraiser: Hellseeker und Dead End. Daher kann es nicht mehr überzeugen, wenn ein vergleichsweise ambitionierter Film wie Stay die gleiche Abschlussüberraschung aus dem Hut zaubert. Auch der Fokus auf Sam, der selbst nicht real ist, tut dem Film nicht gut. Schließlich bemerkt der Zuschauer zum Schluss, dass er seine Sympathie vor allem einer Figur geschenkt hat, die in dieser Form gar nicht existiert.
So bleibt von Stay nicht mehr übrig als ein Rätsel mit schönen Bildern und unterdurchschnittlicher Lösung.
Weiterführende Links
Stay bei www.imdb.com
Stay bei www.rottentomatoes.com
Stay bei Amazon kaufen
Werbung durch Afilliate-Link
Bildnachweis: Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Studiocanal Home Entertainment
- Breaking Dawn 2 - 1. November 2024
- Parallel - 8. Januar 2023
- Hinter den Augen die Dämmerung - 20. November 2022
Schade, dass Du Stay icht einfach als Kunstwerk genießen konntest; ich bin Autist, und gerade die stringente Logik in der visuellen Umsetzung des Films fasziniert mich. Ich kann den Film immer wieder anschauen, ohne dass er mir langweilig wird – denn es geht Marc Forster gar nicht um den Twist – wie er auch selbst sagt – sondern um den Weg dahin. Für mich immer wieder eine genussvolle Reise.